"INNERVIEW" - JIM LADD UND JEFF LYNNE 1981 Intro: Guten Abend alle miteinander. Heute bringen wir Euch ein seltenes Gespräch mit dem sehr zurückgezogenen Komponisten, Gitarristen, Sänger und Produzenten des Electric Light Orchestras, Jeff Lynne. Obwohl er für gewöhnlich davon absieht, sich mit der Presse zu unterhalten, erklärte er sich bereit, heute abend unser Gast zu sein und über eine Vielzahl von Themen, die sich um das Electric Light Orchestra drehen, zu reden, darunter auch ihr neues Album TIME, ein konzeptuelles Werk über eine Zeitreise und die Zivilisation im Jahre 2095. Folgen Sie uns nun, wenn Sie wollen, auf eine Reise in die Zukunft... Spielt PROLOGUE. Spielt TWILIGHT während des Intros. JIM: Ich bin Jim Ladd. Willkommen zu einem "Innerview" mit dem Electric Light Orchestra. TWILIGHT erklingt noch einmal. JIM: Nun, dies ist wahrscheinlich das Vehikel, mit dem der Kerl diese Zeitreise unternimmt, dieser Zustand der Dämmerung (TWILIGHT). JEFF: Yeah. JIM: Und er stellt sich nun all' die Dinge vor, die da auf ihn zukommen werden. JEFF: Ja, das ist richtig. JIM: Wo hast Du dieses Space Invaders (oder ist es Asteroids?) her, das klingt nach drei Sekunden Soundeffekten. Spielt das Intro von YOURS TRULY 2095. JEFF: Oh ja - das ist ein Flipper im Studio in Deutschland, nur ein Schnipsel. Eigentlich war es zuerst ein ziemlich langes Stück, aber ich habe es kleingearbeitet, editiert und editiert, bis schließlich nur noch das bißchen übrig geblieben ist. JIM: Ich möchte, daß Du ein wenig über das Stück hier verlierst, vielleicht darüber, als was Du diese Person siehst. Ist er im Bett, starrt er aus dem Fenster und träumt vor sich hin? JEFF: Während TWILIGHT? JIM: Ja. JEFF: Ich stelle ihn mir im Bett vor, wie er gerade ein Weilchen aus dem Fenster sieht. JIM: Das ist merkwürdigerweise den Beschreibungen sehr ähnlich, die ich von Leuten bekomme, wenn ich sie "innerviewe" und sie den Zustand beschreiben, in dem sie sind, wenn sie ihre Lieder schreiben - es ist gerade wie ein klarer Kanal - ich meine nicht, daß sie wegtreten - aber es ist eine halbbewußte bzw. unterbewußte Sache, wenn sie schreiben. JEFF: Ich weiß nicht, was Du damit meinst, aber es ist unmöglich zu sagen, wann Du einen Song begonnen hast und wie Du ihn geschrieben hast, weil Du plötzlich vier Akkorde hast und ein bißchen Melodie und dann ist das eigentlich in Ordnung so. Die Sache ist die, ich schreibe, was recht komisch ist, Lieder am besten morgens so um 10/11 Uhr . JIM: Stehst Du so früh auf? JEFF: Nein! [lacht] JIM: Aha. JEFF: Ich mach' sie im Bett! Nein, ich schreibe sie wirklich recht früh, yeah. Mein Kopf ist dann richtig klar. Einige Songs schreibe ich spät in der Nacht, aber ich denke, daß ich einige der besten in der Frühe mache. JIM: Zu YOURS TRULY 2095. Dies scheint nun ein Lied über unseren, nun, nennen wir ihn Zeitreisenden, zu sein, der jetzt in der Zukunft ist und dieses Mädchen trifft, das eine Art von Android ist. "Sie hat einen IQ von 1.001 / Sie trägt eine Freizeitsportanzug / Und sie hat auch ein Telefon"?! Das ist eine großartige Zeile! JEFF: Nun, es reimt sich gut! Yeah, einfach ein bißchen Spaß. Offensichtlich vermißt er seine wirkliche Freundin aus seiner eigenen Zeit. Diese hier tut's für ihn aber auch, wenn er herausfinden kann, wo er ihn hinstecken soll! [beide lachen] JIM: Sozusagen. Spielt einen Teil von YOURS TRULY 2095. JIM: Nun, TICKET TO THE MOON ist ein Lied über unseren Zukunftsreisenden, der nun auf dem Weg ist, oder sich gerade vorbereitet, zum Mond zu fliegen, und während er auf seinen Flug wartet, beginnt er, über das einfache, unkomplizierte Leben der 1980er Jahre nachzusinnen. JEFF: Das stimmt, ja. JIM: Ich muß sagen, daß ist eine recht coole Perspektive - in den 1980ern zu leben, wo sich jedermann beschwert, daß alles so komplex geworden ist. JEFF: Ja, aber es könnte doch wirklich einfach sein, verglichen mit hundert Jahren später, oder? JIM: Selbstverständlich. Die Perspektive der Zeit. JEFF: Ich habe einfach das Gefühl, daß das eine nette Art von Klischee ist, aber in einem völlig anderen Sinn. JIM: Es ist völlig normal das zu hören, beispielsweise von deinen Eltern oder so - die "gute alte Zeit". JEFF: Das ist richtig, ja. Und dies ist die "gute alte Zeit" in diesem Lied. JIM: Wie ist das ..., ist er tatsächlich irgendwie nach 2095 gelangt, oder spielt sich das alles nur in seinem Kopf ab: die Reise zum Mond? JEFF: Tja, das möchte ich auch gerne wissen, denn das beschäftigt mich, seit ich dieses Lied geschrieben habe, ob er wirklich gereist ist, oder ob er sich das nur ausdenkt! Ich weiß es wirklich nicht! Das ist eines jener Dinge... Manchmal denke ich, es könnte wahr sein oder es könnte eine Traumwelt sein. Ich bin mir nicht sicher, also sage ich lieber nichts, denn ich weiß es auch nicht - ich sollte es wissen, aber ich tue es nicht. Spielt TICKET TO THE MOON. JIM: THE WAY LIFE'S MEANT TO BE - es scheint, als ob der Kerl nun mit der Zukunft konfrontiert wird. Er steht ihr und allem, was sie so mit sich gebracht hat, sozusagen von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und es scheint eine ziemlich pessimistische Betrachtung zu sein. JEFF: Yeah, das scheint bei diesem Song so zu sein, yeah. JIM: Magst Du es in dem Song dort nicht? JEFF: Nein, nicht dort, nicht besonders, nein. JIM: Jeff, ich muß Dich dazu bringen, mir hier auf die Sprünge zu helfen(!) JEFF: Ja. Aber laß mich erst etwas erklären, bevor wir weitermachen. Es ist sehr schwer, über Songs zu reden, was sie bedeuten und so weiter, denn wie ich schon sagte, ich weiß oft wirklich selbst nicht, was sie bedeuten. Ich schreibe sie einfach, und wenn etwas gut aussieht, gefällt es mir. JIM: Ich meine ... nun, sieh mal - ich kaufe Jeff Lynne das nicht ab, wenn er mir sagt, die Worte reimen sich, also wird's gedruckt. Ich meine, Dir geht's doch um mehr als das. JEFF: Oh ja. Aber ich meine, es ist ehrlich einfach schwer zu sagen, was ich zu meinen glaube, verstehst Du? Ich weiß, Du glaubst mir nicht, aber das ist wahr. JIM: Mir wurde beigebracht, Dir nicht zu glauben, Jeff - ich wurde vorgewarnt! Aber 1981 kommt hier auch wieder - betrachtet aus der Perspektive von jemandem, der auf diese Zeit zurückschaut, so wie sie nun ist - gar nicht so schlecht weg. JEFF: Ja, also in diesem speziellen Lied laß ich ihn die gleiche Straße hinuntergehen wie zuvor auch, sagen wir vor hundert Jahren, aber obwohl er auf dem gleichen Stückchen Erde steht, ist alles, was er kannte, irgendwie begraben unter diesem neuen Scheiß, der darüber entstanden ist - Elfenbeimtürme und so weiter. JIM: Mehr Parkplätze! JEFF: Yeah! JIM: Diese Musik hat auch leichte spanische Anklänge. JEFF: Ah! Die Kastagnetten! Ja, das kommt daher. Es war zuerst ein bißchen russisch, aber dann legte ich die Kastagnetten drauf und es wurde spanisch. Spielt THE WAY LIFE'S MEANT TO BE. JIM: Wir beginnen den zweiten Teil dieser Show mit der 2. Seite von ELOs neuem Album TIME. Dies ist ein Lied mit dem Titel RAIN IS FALLING, worüber wir nun etwas hören werden, da unser "Innerview" mit ELO weitergeht. JEFF: Meine Interpretation ist die, daß er dort aus dem Fenster sieht und sich immer noch in der Zukunft befindet, und es ist einfach eine deprimierende Zeit, zu sehen, wie alles dahingeht in dieser Zukunft in 100 Jahren, und er steht einfach nur an diesem Fenster, sieht hinaus und betrachtet, wie alles dahingeht. JIM: Eine Art von Nachdenken über seine Vergangenheit? JEFF: Ja, seine Vergangenheit von ein paar Stunden zuvor. Spielt einen Teil von RAIN IS FALLING. JIM: FROM THE END OF THE WORLD - dies scheint eine Art von Liebesbrief zu sein an seine derzeitige 1981er Liebe. JEFF: Natürlich, in hundert Jahren kannst Du Träume zurückschicken in die Vergangenheit. Dies ist ein Stück an fortgeschrittener Technologie, über die wir derzeit noch nicht verfügen. JIM: Ah, ich verstehe. Es ist also ein Traumbrief. JEFF: Yeah, er sendet ihn zurück in der Zeit. Aber sie erhielt ihn niemals - oder hat nicht zugehört, hat nicht an ihn gedacht oder so ähnlich. Spielt einen Teil von FROM THE END OF THE WORLD. JIM: Das Lied mit dem Titel HERE IS THE NEWS. Dies ist ein großartiger Song. Es scheint, als ob in der Zukunft die Nachrichten genauso schlecht sind wie heutzutage! Hier wird noch einmal Bezug genommen auf "Satellit 2", der zuvor schon erwähnt wurde, nur diesmal scheint es sich um eine Gefängniskolonie zu handeln. Bei dieser ganzen Action - da kommt der Nachrichtensprecher rein und raus und all das - ist da auch dieses ganz kleine Stückchen, wo dieser Typ über die Beatles zu reden scheint und dann geht es ein bißchen weiter und dann hört man diesen Akzent, der verdächtig nach George Harrison klingt und dann ist es wieder draußen. Läuft meine Phantasie da nur auf Hochtouren? JEFF: Da ist ein bißchen Liverpooler Akzent drin. Ich habe eine Menge verschiedener Dinge gemacht. Ungefähr 8 Spuren voller Unsinn. JIM: Du hast den ganzen Kram selbst gemacht? JEFF: Das meiste davon, mit Ausnahme eines AFM Nachrichtensprechers in Deutschland, wo wir das Album aufgenommen haben. Er legte einiges an offiziell klingendem, gesprochenen amerikanischen Nachrichtenkram auf die Spur und ich packte den ganzen Rest drauf - das Kauderwelsch und den Nonsens. Es gibt da noch einiges wirklich komisches, das ich nicht hinzufügen konnte, weil es einfach lächerlich war. Ich habe alles nach den Zufallsprinzip draufgelegt und es kam dann so raus, wie ich es wollte - geradezu rasend. Spielt die Mitte von HERE IS THE NEWS. JIM: OK, jetzt zu 21st CENTURY MAN. Dies ist ein sehr menschlicher Typ von Lied. Es sagt aus, daß, ganz egal wie sehr sich die Welt auch verändert, worüber wir ja vorhin schon einmal gesprochen haben, wir uns jetzt um diese Probleme kümmern müssen. Ich werde wohl gehen müssen und mir den Text holen, aber da ist dieses "fields of sorrow" ... JEFF: Yeah, "Obwohl Du auf den Rädern von morgen fährst / Wanderst Du noch immer durch die Felder Deiner Sorgen". JIM: Das ist eine großartige Zeile. JEFF: Danke. Ich bin froh, daß ich mich daran erinnern konnte! [lacht] JIM: Und ich wollte Dich gerade in Verlegenheit bringen, indem ich rausgegangen wäre, um das Textblatt zu holen! JEFF: Yeah. Es ist doch einfach so, daß Du zu jener Zeit - heute in hundert Jahren - eigentlich alles hast. Alles wird für Dich erledigt und so, alles ist futuristisch und es ist wie eine Stimme, die aus dem Jetzt - also 1981 - kommt und singt, "Obwohl Du auf den Rädern von morgen fährst". JIM: Ist dies nun wieder zurück in der heutigen Zeit? JEFF: Er hört es in der Gegenwart, aber er existiert immer noch in der anderen Zeit. JIM: Oh, ich verstehe, ich verstehe. Junge, Du brauchst ja ein Protokoll, um dem zu folgen! JEFF: Und darüber hinaus ist da noch der Fakt, daß, wenn er nach 1981 zurückgehen könnte, er jetzt die allergrößte Berühmtheit sein würde, denn er wüßte ja all' die Dinge, die niemand anders weiß. Spielt ein Stück von 21st CENTURY MAN. JIM: Jetzt zu HOLD ON TIGHT. Dies ist ein ... Junge, ich hasse es, hier Komplimente zu machen, Jeff ... aber dies ist ein wundervoller Song, weil er so ermutigend ist, ein echter Song voller Hoffnung, so scheint es. JEFF: Yeah. JIM: Und es scheint, daß nach allem, was er [der Zeitreisende] durchgemacht hat, es immer noch Hoffnung gibt. JEFF: Dafür war er gedacht, ja. Denn es wurde ein bißchen düster, und so dachte ich 'Hey, Mann, laß uns da noch ein wenig Happiness reinbringen!' JIM: OK, Du kannst also französisch singen... JEFF: Große Sache! Ich habe ein französisches Kindermädchen! [Lachen von Jim] JEFF: Nein wirklich, sie hat's mir beigebracht. Sie schrieb mir die Worte auf, bevor ich nach Deutschland gegangen bin, um es aufzunehmen. JIM: Du bist so "kontinental", ich halt's nicht aus! JEFF: Oh, ich werde nichts mehr sagen! [nun folgen ungefähr fünf Sekunden, in denen Jeff mit französischem Akzent totalen Kauderwelsch von sich gibt!] JIM: Das nehmen wir mit rein, da kannst Du sicher sein! Nun, die generelle Frage zu diesem Lied: Hast Du Hoffnung für die Zukunft? Glaubst Du, es wird sich alles irgendwie regeln lassen? JEFF: Nun, ich denke, ich muß einfach, ansonsten macht es doch überhaupt keinen Sinn, darüber nachzudenken. Spielt HOLD ON TIGHT. Übersetzung: Dirk M. Hoffmann für FACE THE MUSIC GERMANY, Copyright 1993.